Alternde Achtundsechziger.
Roman mémoire lautet der Untertitel von Bernd Cailloux´neuem
Buch. Und das nicht zu Unrecht, schildert Callioux doch ein sehr deutsches
Leben im 20 Jahrhundert, das mit seinem eigenen viel gemein hat. Entlang der
68er Befreiungen, entlang seiner zahlreichen Liebschaften tritt ein Schicksal
zutage. Ein Schicksal, das viele in seiner Generation – der Ich-Erzähler ist 61
– teilen. Als Flüchtlingskind geboren in der Nähe von Erfurt, im Alter von vier
Wochen von seiner Mutter verlassen, flieht er im Zuge des Jahres 1968 in die
„freie“ Stadt Berlin. Westberlin
konkreter. Frei deswegen, da sie ja von den Westallierten diesen Status
zugeschrieben bekam, aber auch wahrscheinlich deswegen frei, da in den 60er und
70er Jahren die Jugendlichen aus der alten BRD dorthin flohen. Alles war ein
bisschen freier, das geteilte Berlin blieb Großstadt. Die Subkulturen der 68,
Musik, Mode, Kunst: Berlin hatte Glamour. Und der Icherzähler blieb in diesen
Subkulturen hängen, auch wenn sich das Leben seitdem gewandelt hat. Was er
übrigbehalten hat als Anti-Bougeois? Die rebellische Haltung. Ironisch, ja
teilweise zynisch, wird das beschrieben, etwa wenn die vormaligen Gefährten
oder Geliebten ins Eigenheim am Rande der Stadt ziehen. Er hat nichts, was diesem
Klischee entsprechen würde: kein Eigenheim, keine Rentenansprüche.
Beklemmend die Szenen, wenn er als Zauberlehrling der Drogenexperimente
lediglich den Virus zurückbehält. Mitte der 70er war das noch nicht AIDS, oder
HIV, sondern Hepatitis, HBV. Mehr als 40 Jahre danach holen ihn seine Eskapaden
ein. Doch mit welcher ironischen Distanz er seine Krankengeschichte erzählt,
ist großartig. Weniger großartig ist die Beschreibung der aktuellen Liebe. Auch
wenn Frauen eine große Rolle in seinem Leen spielen – nach Berlin folgte der
einer Frau – wird nicht klar, was das reizvolle an dieser Liebschaft ausmacht.
Im Vergleich hat er noch Glück gehabt. Den Nachbarn, der
seit 20 Jahren zu Hause ist und von einer kleinen Invalidenrente lebt, hat es vergleichweise
schlimmer getroffen. Wieder die Liebe. Beim Verfolgen seiner Freundin, die
vermutlich fremdging, stürzte er von den Klippen Ibizas – auch ein schönes
Klischee, aber so passend die Hippie-Insel. Dem folgten nach 6 Wochen Krankheit
die >Kündigung und dann nichts mehr. 20 Jahre zu Hause in dauerhafter
Einsamkeit. Nur noch das Musikhören der Hits dieser Tage – the green leaves of summer,
they are gone.
Unser Held wird eingeladen, die 68er werden akademisch
aufgearbeitet. Was haben sie dem Land gebracht? Die Scheckkarte –wirft er
völlig zu Recht in der Podiumsdiskussion der Uni Konstanz, wozu er geladen wird
ein. Doch gegen den ehemaligen Bombenbauer der RAF – auch eine Folge von 68 –
ist damit kein Ankommen. „Wer so bildhaft mit dem unsterblichen Bedürfnis nach
Anarchie spielte, wer die heimlichen Sehnsüchte nach Rebellentum so direkt
ansprach, dem lag jedes Publikum zu Füßen.“ Seine Stimme geht unter.
Was bleibt? Ein sehr deutsches Schicksal, alleingelassen in
den Wirren des letzten Weltkrieges, auf der Suche nach Liebe und Sinn mitten in
den wilden 6oern, ein kometenhafter Aufstieg als linker Unternehmer 1986 und
eine ziemliche Stille nach 1989. Nicht untypisch, aber …
Bernd Cailloux kann großartig vom Altern erzählen, von
Krankheit, vom Herumsitzen in Cafes und von Bindungsunfähigkeit, kurz: aus
seinem Leben. Lesenswert.
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