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"Ich war bereits nah am Tod"
Aber leider: Mors certa, hora incerta. Dennoch schöner Text. Womöglich lohnt sich das Buch...
"Ich war bereits nah am Tod"
von Kathrin Schmidt
Für ihren Roman "Du stirbst nicht" erhielt die Schriftstellerin den Deutschen Buchpreis. An ihrem letzten Tag fürchtet Kathrin Schmidt nur die erneute Rückkehr ins Leben
Es wäre schön, wenn ich ihn kennen würde, meinen letzten Tag. Aber ich denke, er wird sich versteckt halten hinter all den anderen Tagen, weil er weiß, dass ich keine Angst vor ihm habe. Warum auch? Einmal war ich nah dran am Tod. Das war erst bedrängend, als die Rückkehr ins Leben anstand und ich sprechen, laufen, mich neu orientieren lernen musste. Wenn das wegfällt, und das wird es ja an meinem letzten Tag, kann ich mir den Tod nur noch als warmen, dunklen, voluminösen Kapuzenmantel denken. Stellte er sich mir vor, mein letzter Tag, würde ich ihn begrüßen mit einem starken schwarzen Kaffee.
Dann hieße es aber: Beeilung, denn meine fünf verstreuten Kinder würde ich natürlich alle noch einmal sehen wollen. Allerdings unter einer Tarnkappe, damit sie nicht gestört werden bei ihren alltäglichen Verrichtungen. Maria lebt im norwegischen Trondheim als Violinistin mit Mann und zwei Kindern. Nina ist mit ihrer Tochter nach vier Jahren Bremen nach Berlin zurückgekehrt und studiert im Masterstudiengang an der Freien Universität Soziologie. Tilman hat sich dem Holzbau verschrieben, den er in Rosenheim studiert, um einmal Fachwerk restaurieren und Dächer aufsetzen zu können. Oskar ist angehender Mediziner und lebt in Berlin. Bei uns im Haus lebt nur noch Moritz, der zwölf ist und Neugymnasiast. Ruhe und Zufriedenheit bewegen mich beim Blick auf alle fünf, und ich denke, das wird sich nicht ändern. Auch an meinem letzten Tag nicht.
Ich werde spät abends erst zurück sein können, zwischen Trond- und Rosenheim liegen mehr als zweitausend Kilometer. Wenn noch Zeit bleibt, werde ich mir eine Flasche des geliebten Saale-Unstrut-Weines, weiß, öffnen. Bei kühleren Temperaturen werde ich mich an den Kaminofen setzen mit meinem Mann und seine Hand halten. Wenn es allerdings warm sein sollte, würde ich die weinbewachsene Terrasse am Haus bevorzugen. Ich sehe mich mit Kopfhörern sitzen, unter denen Bachs Cello-Suite Nr. 2 so laut sein kann wie sie will. Als sie zu Ende ist, möchte ich gehen.
Ich sterbe, sage ich ruhig.
Ja, sagt mein Mann.
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"Ich war bereits nah am Tod"
von Kathrin Schmidt
Für ihren Roman "Du stirbst nicht" erhielt die Schriftstellerin den Deutschen Buchpreis. An ihrem letzten Tag fürchtet Kathrin Schmidt nur die erneute Rückkehr ins Leben
Es wäre schön, wenn ich ihn kennen würde, meinen letzten Tag. Aber ich denke, er wird sich versteckt halten hinter all den anderen Tagen, weil er weiß, dass ich keine Angst vor ihm habe. Warum auch? Einmal war ich nah dran am Tod. Das war erst bedrängend, als die Rückkehr ins Leben anstand und ich sprechen, laufen, mich neu orientieren lernen musste. Wenn das wegfällt, und das wird es ja an meinem letzten Tag, kann ich mir den Tod nur noch als warmen, dunklen, voluminösen Kapuzenmantel denken. Stellte er sich mir vor, mein letzter Tag, würde ich ihn begrüßen mit einem starken schwarzen Kaffee.
Dann hieße es aber: Beeilung, denn meine fünf verstreuten Kinder würde ich natürlich alle noch einmal sehen wollen. Allerdings unter einer Tarnkappe, damit sie nicht gestört werden bei ihren alltäglichen Verrichtungen. Maria lebt im norwegischen Trondheim als Violinistin mit Mann und zwei Kindern. Nina ist mit ihrer Tochter nach vier Jahren Bremen nach Berlin zurückgekehrt und studiert im Masterstudiengang an der Freien Universität Soziologie. Tilman hat sich dem Holzbau verschrieben, den er in Rosenheim studiert, um einmal Fachwerk restaurieren und Dächer aufsetzen zu können. Oskar ist angehender Mediziner und lebt in Berlin. Bei uns im Haus lebt nur noch Moritz, der zwölf ist und Neugymnasiast. Ruhe und Zufriedenheit bewegen mich beim Blick auf alle fünf, und ich denke, das wird sich nicht ändern. Auch an meinem letzten Tag nicht.
Ich werde spät abends erst zurück sein können, zwischen Trond- und Rosenheim liegen mehr als zweitausend Kilometer. Wenn noch Zeit bleibt, werde ich mir eine Flasche des geliebten Saale-Unstrut-Weines, weiß, öffnen. Bei kühleren Temperaturen werde ich mich an den Kaminofen setzen mit meinem Mann und seine Hand halten. Wenn es allerdings warm sein sollte, würde ich die weinbewachsene Terrasse am Haus bevorzugen. Ich sehe mich mit Kopfhörern sitzen, unter denen Bachs Cello-Suite Nr. 2 so laut sein kann wie sie will. Als sie zu Ende ist, möchte ich gehen.
Ich sterbe, sage ich ruhig.
Ja, sagt mein Mann.
Auf den Tod eines Kindes
Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
ein flücht'ger Gast im Erdenland.
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
aus Gottes Hand in Gottes Hand.
Ludwig Uhland
ein flücht'ger Gast im Erdenland.
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
aus Gottes Hand in Gottes Hand.
Ludwig Uhland
Herbststag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
Gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
Dränge sie zur Vollendung hin und jage
Die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
Und wird in den Alleen hin und her
Unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke
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Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
Gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
Dränge sie zur Vollendung hin und jage
Die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
Und wird in den Alleen hin und her
Unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke
So tief verwundet ist dies Herz
So tief verwundet ist dies Herz –
Es möchte sich in Nacht versenken,
Nicht sehen, hören und nicht denken,
Nur fühlen seinen bitt'ren Schmerz!
So kostet' es ihn bis zum Grund,
Es müßte langsam sich verbluten,
Und aus den ausgebrannten Gluthen
Erhöb' es sich vielleicht gesund.
Nun aber wird der laute Tag,
Der ihn geschäftig will zerstören,
Des Herzens Qual nur noch vermehren,
Nicht stark es machen, sondern schwach.
Doch sei's getragen – nach dem Wie
Nicht fragt der Selbstbeherrschung Wille;
Nur Aug' und Lippe, haltet stille,
Das inn're Leid verrathet nie!
Luise Büchner (1821-1877)
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Es möchte sich in Nacht versenken,
Nicht sehen, hören und nicht denken,
Nur fühlen seinen bitt'ren Schmerz!
So kostet' es ihn bis zum Grund,
Es müßte langsam sich verbluten,
Und aus den ausgebrannten Gluthen
Erhöb' es sich vielleicht gesund.
Nun aber wird der laute Tag,
Der ihn geschäftig will zerstören,
Des Herzens Qual nur noch vermehren,
Nicht stark es machen, sondern schwach.
Doch sei's getragen – nach dem Wie
Nicht fragt der Selbstbeherrschung Wille;
Nur Aug' und Lippe, haltet stille,
Das inn're Leid verrathet nie!
Luise Büchner (1821-1877)
Auf ihrem Grab
Auf ihrem Grab da steht eine Linde,
Drin pfeifen die Vögel im Abendwinde,
Und drunter sitzt auf dem grünen Platz,
Der Müllersknecht mit seinem Schatz.
Die Winde wehen so lind und so schaurig,
Die Vögel singen so süß und so traurig:
Die schwatzenden Buhlen, sie werden stumm,Sie weinen und wissen selbst nicht warum.
Heinrich Heine
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Drin pfeifen die Vögel im Abendwinde,
Und drunter sitzt auf dem grünen Platz,
Der Müllersknecht mit seinem Schatz.
Die Winde wehen so lind und so schaurig,
Die Vögel singen so süß und so traurig:
Die schwatzenden Buhlen, sie werden stumm,Sie weinen und wissen selbst nicht warum.
Heinrich Heine
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