In den 60ern nach seinem Debüt Revolutionary Road (auf Deutsch Zeiten des Aufruhrs) ein gefeierter Schriftsteller wurde es ab den 70ern still um Richard Yates, den Autor von sieben Romanen und etwa 20 Kurzgeschichten. Erst kürzlich wurde er wiederentdeckt und die Deutsche Verlagsanstalt bringt alle seine Bücher neu oder erstmalig heraus. Die deutsche Erstausgabe von Revolutionary Road erschien übrigens 1975 unter dem Titel Das Jahr der leeren Träume im Verlag Volk und Welt in Berlin.
35 Jahre nach seinem Erscheinen erscheint nun also auch sein dritter Roman – Ruhestörung. Das Leben des John Wilder, das Yates ausbreitet, könnte fast autobiographische Züge tragen, denn dem Alkohol war Yates Zeit seines Lebens zugeneigt.
Yates beschreibt mit Wilder, wie auch in seinen anderen Werken, den modernen Menschen in einer Welt der verrannten Hoffnungen und Abstürze. Wilder trinkt. Er trinkt zu viel, so viel, dass er sein Leben zerstört. Er ist eines der Menschlein, die mit dem Gefühl in ihrem Leben festzustecken, für Höheres geschaffen und lediglich irrtümlich im Haus mit Vorgarten gelandet zu sein. Und zum Ausgleich will er immer mehr: Mehr drinks, mehr Spaß.
Bis er sich nach einem Nervenzusammenbruch in der Psychiatrie wiederfindet. Das Psychiatriekapitel in Ruhestörung könnte von Franz Kafka abgesegnet sein. Es hat mich auch zum Erwerb des Buches bewogen, ist es doch auf der Webseite perlentaucher.de vollständig lesbar. Man kann das Krankenhaus Bellevue als Gulag betrachten, als Konzentrationslager oder als Guantánamo. Überaus beklemmend werden die Erlebnisse Wilders in dieser Hölle geschildert – der er dann zwar entkommen kann, die aber sein ganzes weiteres Leben nachhaltig prägen wird.
Irrtümlicherweise wird dieses Ohnmachtsgefühl zuweilen nur mit midlife-crisis beschrieben– auch die Verfilmung des Romans Revolutionary Road mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet sollte das wohl andeuten -, aber die Gefühle der Helden in Yates Romanen sind nicht nur damit beschrieben. Wenn es heißt, amerikanische Künstler seien zuallererst Soziologen, trifft das auf Yates zu. Denn Wilder hatte einen Job, eine Frau, ein Kind und fragt sich doch, was er will.
Richard Sennetts Fallgeschichten in „Der flexible Mensch“ erzählen aus einer Soziologenperspektive von den Menschen, die seit den 1990er-Jahren ziellos durch die Gesellschaft driften, ihrer Ziellosigkeit aber keine große Bedeutung beimessen, keinen Grund darin sehen, deshalb besonders schwermütig zu sein. „Wie“, fragt Sennett, „kann ein Mensch in einer Gesellschaft, die aus Episoden und Fragmenten besteht, seine Identität und Lebensgeschichte zu einer Erzählung bündeln?“
Yates war hier Vorreiter, denn diese Frage stellte er stets in seinen Werken. Nicht umsonst war er wohl deshalb lange Zeit ein sogenannter writers writer: Schriftsteller wie Raymond Carver, Richard Ford, Kurt Vonnegut, Joyce Carol Oates verehrten den Verkannten als Genie und literarische Vaterfigur.Jetzt kann ihn wieder jeder lesen. Absolut lohnenswert.
Richard Yates: Ruhestörung
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010
316 Seiten, gebunden, Euro 19,95
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