Warum die Menschen in der heutigen Zeit vielfach einfach überfordert sind, und warum die Anzahl der Depressionen steigt, beschreibt Wolfgang Schmidbauer in seinem neuen Buch.
Wolfgang Schmidbauer dürfte vielen aus der ZEIT bekannt sein, dort verfasst er eine Paartherapiekolumne, kleine Porträts von Paaren mit Beziehungsproblemen, die auf wenigen Zeilen das ganze Ausmaß des menschlichen Beziehungsgeflechts, die großen Fragen der Liebe sortieren kann.
Mit seinem aktuellen Buch „Raubbau an der Seele. Psychogramm einer überforderten Gesellschaft“ geht Schmidbauer in einer Art wieder zu seinen Wurzeln zurück, hat er doch in den 60er Jahren ein Buch veröffentlich, „Homo consumens. Der Kult des Überflusses“, das den Raubbau an der Natur anprangerte. Heute blickt er in die hoch entwickelten modernen Gesellschaften mit ihrem doppelten Raubbau. Denn der moderne Mensch betreibt doppelten Raubbau - zum einen an der Natur, werden doch bis zu sechsmal mehr Energie und Rohstoffe verbraucht, als der Planet regenerieren könnte, und zum anderen an den eigenen psychischen Ressourcen. „Die Konsumgesellschaft verleugnet die Grenzen des Wachstums, die Erschöpfbarkeit der Ressourcen, die Gefährdung des Klimas mit ähnlichem Nachdruck wie Individuen die Grenzen der Sinnstiftung und der Ermöglichung von Lebensfreude durch Fixierung auf Leistung, Erfolg und Konsum“, schreibt Schmidbauer.
Der erschreckende Auftakt: Laut Depressionsatlas der Techniker Krankenkasse hat sich die Tagesmenge an Antidepressiva, die zwischen 2000 und 2013 verschrieben wurde, verdreifacht - für Schmidbauer ein klares Zeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft einiges falsch läuft. Denn für Schmidbauer sind Depressionen kein Zufall, sondern die Folge einer konstanten Überforderung der Gesellschaft - so seine These. Der moderne Mensch neigt dazu, sich selbst zu überfordern und auszubeuten. Ob Perfektionismus in Beruf und Privatleben, oder Rastlosigkeit und Gier - der Mensch überfordert sich. Doch er kommt damit nicht klar, so neigen die einen zu Burnout oder Depressionen, andere werden aggressiv oder mutieren zum Wutbürger. Indem schon Kindern Probleme abgenommen werden, und das in einem Maße, das normale Fürsorge übersteigt - Stichwort Helikopter-Eltern - wird leicht übersehen, dass Probleme die es zu meistern gilt Teil des Lebens sind, und dass man daran wachsen kann. Eine permanente Überforderung ist somit schnell erreicht, und sehr leicht scheint da doch die schnelle Befriedigung im Konsum zu suchen oder gleich zur »Rundum-sorglos-Pille« zu greifen.
Hier zeigt er den Zusammenhang: Auch mentale, seelische Ressourcen gehorchen den Gesetzen der Ökologie, solange sie nur mäßig ausgebeutet werden regenerieren sich. Ist aber einmal eine Grenze überschritten, kippt das System. Schon minimale Belastungen wirken dann überfordernd. Und wie reagiert die Konsumgesellschaft? Das ist leicht vorhersehbar, nicht etwa eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, eine Regeneration ist die Lösung, sondern mit hohem Aufwand wird gegen die Symptome vorgegangen - mittels Medikamenten. Die Folgen sind unabschaubar, laut aktueller Studien können die Medikamente auf Dauer die Psyche sehr stark verändern. Ein Teufelskreis. Doch wie sieht eine Lösung aus?
Dem panischen Pillenkauf kann vor allem die Wiederentdeckung und Aufwertung sozialer Kontakte entgegenwirken; aber auch handwerkliches Tun und entschleunigende Praktiken sind heilsam. Schmidbauer zeigt, wie wir unser Leben wieder mit Sinn füllen können und wie es uns gelingt, die Stärke zu gewinnen, die wir benötigen, um für die Herausforderungen der Zeit gewappnet zu sein.
Wolfgang Schmidbauer, Raubbau an der Seele: Psychogramm einer überforderten Gesellschaft2
56 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-96006-009-3 , 22,00 Euro. Auch als E-Book erhältlich.